Der BiBB Kongress 2018 „Berufsbildung von morgen – Innovation erleben“ am 7. und 8. Juni in Berlin vereint die Akteure der beruflichen Bildung, um zwei Tage über die Zukunft der beruflichen Bildung zu referieren und zu diskutieren. Neben anderen interessanten Schwerpunkten bietet das Forum „Berufsbildung 4.0 – Aus- und Weiterbildung im digitalen Zeitalter“ Raum für aktuelle Forschungsergebnisse, komplexe Fragestellungen und Probleme zum Umgang mit Innovationen in Geschäftsmodellen und -prozessen im kaufmännischen Bereich sowie in der Produktion im industriell-gewerblichen Sektor.

Basierend auf neuen Forschungserkenntnissen leitet Herr Prof. Dr. Friedrich Hubert Esser (Präsident des BiBB) das genannte Forum mit vier Thesen zur beruflichen Bildung ein, welche folgend kurz vorgestellt werden:

  1. „Die Zukunft der Arbeit wird wesentlich aus der Digitalisierung heraus bestimmt“

Damit ist nicht lediglich der Einzug neuer Technologien in Tätigkeitsbereiche gemeint, sondern vielmehr die Konsequenz aus den neuen Möglichkeiten. So wird u. a. der/die Industriekaufmann/-frau künftig ihr/sein Aufgabenfeld weniger in routinierten Aufgaben finden als vielmehr in komplexen Recherchen und Analysen, wofür entsprechendes IT-Knowhow und das Verständnis für Prozess- und Systemabläufe notwendig sind

  1. „Die berufliche Handlungsfähigkeit, basierend auf einer breit angelegten Berufsbildung, schafft das Fundament für zukünftige Arbeit(skraft) und eine emanzipierte Fachkraft“

Die Handlungsfähigkeit wird (künftig) maßgeblich u. a. vom Prozess- und Systemverständnis geprägt und nicht von (tiefgreifenden) Programmierkenntnissen, wie es in ähnlicher Art von anderen Stellen prognostiziert wird. Hier stellt sich auch die Frage nach passenden Lehr-Lern-Arrangements in Betrieben und (berufsbildenden) Schulen, um den Anforderungen gerecht zu werden, sowie die Frage danach, ob sich diese Anforderungen in den Berufsbildern wiederfinden lassen.

  1. „In welche Richtung sich die Berufsbildung qualitativ und quantitativ entwickeln wird, ist kein Automatismus, sondern eine gesellschaftliche Gestaltungsaufgabe und letztendlich auch ein gesellschaftlicher Aushandlungsprozess“

Die Digitalisierung ist kein Konstrukt, welches von oben herab über die Gesellschaft gelegt wird, sondern eine Entwicklung, die durch jeden Einzelnen durch alltägliches Handeln und betriebliche sowie technologische Weiterentwicklung geschaffen und in die berufliche sowie private Lebenswelt selbst integriert wird. Jedoch ist neben weiteren Effekten auch mit Verschiebungen auf dem Arbeitsmarkt zu rechnen, woraus eine Reaktion u. a. im Sinne einer adäquaten Gestaltung von Ordnungsmitteln nötig wird.

  1. „Das BiBB liefert durch Forschungsergebnisse, Entwicklungsarbeit sowie einen engen Dialog mit Sozialpartnern und der Praxis wesentliche Impulse für die Weiterentwicklung des Berufsbildungssystems. Hauptausschuss und BIBB sind auch in Zukunft zentrale Knotenpunkte in der Berufsbildungs-Systementwicklung“

Zu dieser These sei der Hinweis auf die BMBF-BiBB-Initiative „Berufsbildung 4.0“ angebracht. Sie hat das Ziel, einen Beitrag zur Umsetzung der Digitalen Agenda zu leisten, und tritt u. a. mit folgenden Maßnahmen auf:

  • Entwicklung eines Screenings für Ausbildungsberufe, Branchen und Fortbildungsregelungen
  • Entwicklung von Mindeststandards für eine einheitliche Definition von „Medienkompetenz“
  • Entwicklung eines Monitoring- und Projektsystems zu Qualifizierungsmöglichkeiten für die Berufsbildung 4.0

 

Zu einem Kongress, der digitale Innovationen im Blick hat, gehört selbstverständlich auch eine App. Diese leitet die Gäste durch die beiden Kongress-Tage. Zudem können mit Hilfe der App Fragen in den Foren anonym an die Moderatoren gestellt werden. Sie bietet außerdem die Möglichkeit, eigene Ideen und Gedanken zu speichern oder sie direkt mit der Community zu teilen bzw. zur Diskussion zu stellen.

Als Vertreter der Wirtschaftspädagogik liefert Herr Prof. Karl Wilbers (Friedrich-Alexander-Universität Nürnberg-Erlangen) einen Beitrag zur Vernetzung und Überschneidung von kaufmännischen und technischen Tätigkeitsfeldern. Nicht nur in Produktionsprozessen finden cyberphysische Systeme (CPS, Verbindung von digitalen und physischen Komponenten, die z. B. über das Internet kommunizieren) ihre Anwendung. Innerhalb der Wertschöpfungskette gelangt diese Technologie auch in den Radius von Kaufleuten bspw. in den operativen Verkauf oder in die Verarbeitung von Just-in-Time-Daten. Weiter wird die These vertreten, dass der/die operative Einkäufer*in eine Verschiebung zum/zur strategischen Einkäufer*in, welche/r in großen Wertschöpfungsnetzwerken agieren muss, erfahren wird.

Ebenfalls ist zu erwarten, dass sozio-technische Kommunikationen andere als die bisher etablierten Formen annimmt. Während heute „Wisch- und Touchgesten“ Standard sind, stehen Bedienungen per Sprache, Gestik und Mimik nicht mehr nur in den Startlöchern.

Damit ein adäquater Umgang mit diesen und anderen teilweise noch unbekannten Herausforderungen, die allerdings auch nicht „radikal“ Einzug finden, erfolgen kann, sind weiterhin technologische Entwicklungen und branchentypische Verfahrensweisen (z. B. Click and Collect des Cross-Channel-Marketings) zu identifizieren und in Lerngelegenheiten zu implementieren. Eine grundliegende Gelingensbedingung für die digitale Transformation  ist der (wohl überlegte) Einzug dieser Elemente in didaktische Situationen.

Dr. Gerd Zinke (BiBB) konstatiert, dass es hinsichtlich der künftigen Anforderungen in der Berufswelt keine Alternative zur Berufsausbildung gibt, denn nur sie schafft die notwendige Flexibilität, mit einem Beruf in unterschiedlichen Unternehmen, Branchen bzw. Wirtschaftszweigen tätig zu sein. So kann im Rahmen einer zukunftsorientierten Berufsausbildung die Basis für den Umgang mit Herausforderungen und Anforderungen durch die Digitalisierung gelegt werden. Es steht u. a. auch die Frage im Raum, wie die Allgemeinbildung ein Niveau erreichen kann, welches in Fragen zur Veränderung der Arbeitswelt ebenfalls einen Beitrag leisten kann (oder sollte?). Zumindest ist deutlich, dass das gesamte Bildungssystem gefragt ist.